Beugungstheorien nach Mie und Fraunhofer
Wenn man nur den sichtbaren Teil des elektromagnetischen Spektrums betrachtet, erzeugt die Wechselwirkung von Licht und Materie vier inhärent miteinander zusammenhängende Streuphänomene. Diese vier unterschiedlichen Phänomene werden als Beugung, Brechung, Reflexion und Absorption bezeichnet. Wenn man jeden dieser Begriffe mit jeweils einem Satz beschreiben wollte, könnte man sie wie folgt definieren: Beugung ist die Beugung des Lichts an den Kanten eines Objekts; Brechung sind die Veränderungen, die auftreten, wenn das Licht die Grenze zwischen einem Objekt und dem umgebenden Medium passiert; Reflexion ist das Zurückwerfen von Licht an der Oberfläche eines Objekts; Absorption ist die Abschwächung des Lichts durch das Objekt. Abbildung 1 zeigt die drei Phänomene der Lichtstreuung, die bei der Partikelgrößenanalyse üblicherweise genutzt werden (die Reflexion ist nicht dargestellt, da sie bei nahezu allen aus feinen Partikeln bestehenden Materialien vernachlässigbar ist).
Beispiele für diese (anscheinend unterschiedlichen) Streuphänomene finden sich im Alltag reichlich. So entsteht beispielsweise das Bild in einem Spiegel durch die Reflexion von Licht. Absorption ist der Effekt, der dazu führt, dass sich dunkle Kleidung in der Sonne wärmer anfühlt als weiße oder pastellfarbene. Die vermeintliche Biegung eines Stifts, der halb in ein Glas Wasser eingetaucht ist, verdeutlicht einen Effekt der Beugung – und unsere Kenntnis der Brechung hilft auch bei der Konstruktion von Brillengläsern. Beispiele für Beugung sind seltener, ein im Physikunterricht beliebtes Experiment lässt sich jedoch leicht mithilfe eines Laserpointers und eines Blatts Papier, in dessen Mitte ein kleines Loch geschnitten wurde, nachstellen. Bei diesem Versuch wird das Licht an den Rändern des Lochs „gebogen“ (gebeugt), sodass an einer Wand oder Fläche in einiger Entfernung ein regelmäßiges Muster von abwechselndem Licht und Schatten entsteht. Abbildung 2 zeigt das von einem kugelförmigen Partikel erzeugte Streumuster.
Fraunhofer-Beugung
Eine mathematische Beschreibung der Beugung wurde Anfang des 19. Jahrhunderts von Josef von Fraunhofer vorgeschlagen. Für eine gegebene Wellenlänge sagt die Fraunhofer-Theorie die Winkellage der Streuungsmaxima und -minima in Abhängigkeit von der Größe eines Gegenstands vorher.
Die Fraunhofer-Theorie erklärt zwar, wie es zu den besagten Licht- und Schattenmustern kommt, allerdings ist die Beugung von Licht ein Phänomen, das durch die Interaktion von Licht und einem im Wesentlichen zweidimensionalen Objekt wie einer Scheibe oder einem Loch in einem Tuch hervorgerufen wird. Die Wechselwirkung zwischen Licht und einem dreidimensionalen Objekt, wie etwa einem Partikel, resultiert in einer Streuung, die nicht alleine durch Beugung, sondern auch durch Beugung und Absorption des Lichts entsteht. In diesem Sinne ist die Fraunhofer Theorie nur eine Annäherung an die vollständige Lösung des Problems der Lichtstreuung durch ein beliebiges „reales“ Objekt und ihre Anwendung bei der Partikelgrößenbestimmung beschränkt sich daher grundsätzlich auf Fälle, in denen Folgendes gegeben ist: a) Die Partikel sind im Verhältnis zur Wellenlänge groß, b) der Betrachtungswinkel ist klein, und c) die Partikel sind nicht transparent.
Bei im Verhältnis zur Wellenlänge großen Partikeln sind die Fraunhofer-Näherungen zur vollständigen Mie-Theorie funktional gleichwertig. Wenn sich jedoch der Partikeldurchmesser der Wellenlänge annähert, werden die Streumuster zunehmend durch die Effekte der Brechung und Absorption beeinflusst. Fraunhofers Gleichung der Lichtbeugung an einem kreisförmigen Objekt beschreibt die relative Intensität des gestreuten Lichts lediglich in Bezug auf Wellenlänge, Winkel und Partikeldurchmesser (als Abstand zwischen den Kanten eines Objekts). Bei einer Beschreibung der Wechselwirkung zwischen Licht und einem dreidimensionalen Objekt müssen jedoch auch die Materialeigenschaften des Letzteren berücksichtigt werden, z. B. der Brechungsindex.
Die Mie-Theorie
Erst als James Clerk Maxwell die Gleichungen zur Feststellung des grundlegenden Zusammenhangs zwischen Elektrizität und Magnetismus darlegte, wurde eine vollständige, strenge Theorie der Lichtstreuung möglich. Diese Theorie ist heute allgemein als Mie-Theorie bekannt und verdankt ihren Namen einer Arbeit des Physikers Gustav Mie aus dem Jahr 1908. Sie sagt die relative Intensität des Streulichts als Funktion von Partikelgröße, Beobachtungswinkel sowie Wellenlänge und Polarisation des einfallenden Strahls vorher. Voraussetzung ist, dass der Partikel glatt, kugelförmig, im Inneren (optisch) homogen ist und einen bekannten Brechungsindex besitzt. Mies Theorie schließt notwendigerweise die Theorie von Fraunhofer dadurch ein, dass sie nicht nur die Effekte der Beugung beschreibt, sondern auch in der Lage ist, die Streuung zu modellieren, die aus der Brechung, Reflexion und Absorption des Lichts resultiert (Phänomene, die sich nur durch die Interaktion des Lichts mit einem dreidimensionalen Gegenstand ergeben). Wenn wir noch einmal Abbildung 1 betrachten, sollte nun deutlich werden, dass die Streuung des Lichts durch ein kleines Objekt nicht nur auf Beugung, sondern auch auf Brechung und Absorption zurückzuführen ist.
Die Mie-Theorie wurde zwar bereits vor fast hundert Jahren entwickelt, ihre Anwendung in der Auflösung der Größenverteilung von sphärischen Partikeln durch Messung des Laser-Streuwinkelmusters war jedoch aufgrund ihrer mathematischen Komplexität nicht praktikabel. So brauchte beispielsweise ein IBM-kompatibler 386er Computer in den frühen 1990er Jahren fast eine Stunde, um eine Streumatrix von 100x100, d. h. hundert Detektoren mit je hundert Größenklassen, zu berechnen. Angesichts nur unzureichender Rechenleistung konnte damals nur die Fraunhofer-Näherung genutzt werden. Heutzutage reicht die Leistung eines Pentium-Computers aus, um dieselbe 100x100-Matrix in Sekundenbruchteilen zu berechnen, sodass eine Echtzeitberechnung der Partikelgrößenverteilung anhand der gemessenen Streuintensität realisierbar ist. Somit gibt es außer in Fällen, in denen der Brechungsindex nicht bekannt ist, keinen Grund, die Fraunhofer-Näherung in der Laserbeugungstechnik anzuwenden. Insbesondere bei Partikeln kleiner als ca. 25 μm führt die Anwendung der Fraunhofer-Näherung zu einem großen und unerwarteten Fehler in der ermittelten Partikelgröße. Aufgrund der oben geschilderten Historie und um eine Verwechslung mit einer anderen, hauptsächlich zur Messung des Molekulargewichts von Makromolekülen eingesetzten statischen Lichtstreuungstechnologie zu vermeiden, wird diese Technik jedoch in der Branche weiterhin als Laserbeugung bezeichnet.