Mögliche Auswirkungen der EU IVD-Verordnung auf das klinische Durchflusszytometrie-Labor

Maurizio Suppo, PhD

Wie bei vielen anderen Ideen mit der Intention, bestehende Produkte oder Verfahren zu verbessern, ist auch der Weg zur neuen EU-Verordnung 2017/746 über In vitro-Diagnostika (IVDR) mit guten Absichten gepflastert. Einige dieser Absichten könnten die Arbeit der klinischen Durchflusszytometrie-Labore künftig deutlich erschweren, denn es gibt neue Vorschriften für laborentwickelte Tests (LDTs).

IVDR-Übergangsfrist

Das gesetzgeberische Instrument, mit dem die Distribution sämtlicher In vitro-Diagnostika in Europa geregelt wird, ist bislang noch die alte IVD-Richtlinie 98/79/EG, die vor fast 25 Jahren verfasst wurde und wie so ziemlich alles, was in die Jahre kommt, mittlerweile aufgrund ihres Alters deutlich an ihre Grenzen stößt – vor allem im Vergleich mit IVD-Vorschriften in anderen Teilen der Welt.

Zu den Altersanzeichen der derzeitigen IVD-Richtlinie gehört, dass therapiebegleitende Diagnostika, Tumormarker und sogar die neuen Covid 19-Assays (RNA- und Serologietests) in die Eigenzertifizierungsklasse fallen und in alleiniger Verantwortung des Herstellers in der EU in Verkehr gebracht werden können, ohne dass eine Intervention, Beaufsichtigung oder Genehmigung durch einen Dritten (Benannte Stelle) erfolgt.

Angesichts der Limitationen der bisherigen IVD-Richtlinie haben die Verfasser der IVD-Verordnung (die EU-Kommission unter Mitwirkung des EU-Parlaments und des Rates) die Messlatte – vor allem für LDTs – sehr hoch gelegt und Vorschriften erlassen, die es in Sachen Komplexität und Kosten mit anderen gesetzlichen Regelungen aufnehmen können.

Schon während der Übergangsfrist, die im Mai 2017 begann, als die EU-Kommission die beiden neuen Verordnungen für die künftige Regulierung von Medizinprodukten (2017/745, MDR) und In vitro-Diagnostika (2017/746, IVDR) erlassen hat, konnten IVD-Hersteller Produkte gemäß IVD-Verordnung auf den Markt bringen.

In seiner Betrachtung der bisherigen und neuen gesetzlichen Bestimmungen gibt der vorliegende Artikel einen Überblick über die neue IVD-Verordnung der EU und geht insbesondere darauf ein, wie die EU-Behörden die große Mehrheit der laborentwickelten Tests (LDTs) regulieren wird, die heute Tag für Tag in Europa durchgeführt werden.

IVD-Verordnung: die kommenden Veränderungen

Wenn man die nächsten Jahre durch die Linse der neuen IVD-Verordnung betrachtet, stechen vor allem vier anstehende Veränderungen ins Auge:

1. Starke Mitwirkung von Benannten Stellen bei allen Tests, mit denen irgendetwas nachgewiesen/gemessen wird
2. Sehr viel höhere Erwartungen in Bezug darauf, wie Hersteller die klinische Evidenz für ihre Produkte belegen
3. Ein Konzept für die Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika, zu dem auch eine deutlich intensivere und aufwändigere Überwachung nach dem Inverkehrbringen gehört
4. Eine andere Vorgehensweise bei laborentwickelten Tests (LDTs)

 

 

1. Benannte Stellen überall

Alle qualitativen und quantitativen Tests fallen in die Zuständigkeit der Benannten Stelle, die der Hersteller wählt, bezahlt und von der er auditiert wird. Wenn man bedenkt, dass rund 90 Prozent der heute genutzten IVD-Assays in die Klasse der Eigenzertifizierung gemäß IVD-Richtlinie fallen (keine Beteiligung einer Benannten Stelle), bedeutet dies für etliche IVD-Hersteller wirklich eine tiefgreifende Umwälzung, einen Paradigmenwechsel.

Alle IVD-Hersteller, die bisher Assays für die Bereiche klinische Chemie, Endokrinologie, Allergien, Tumormarker und sogar therapiebegleitende Diagnostik produzieren, werden sich mit den gründlichen und anspruchsvollen Prüfern der Benannten Stellen auseinandersetzen müssen und diese überzeugen müssen, dass ihr Qualitätsmanagementsystem den Anforderungen entspricht. Hierzu gehört, dass Lieferanten und insbesondere Lohnhersteller korrekt verwaltet werden, die Prozesse für Entwicklungslenkung, Leistungsbewertung und Überwachung nach dem Inverkehrbringen einwandfrei sind und die testspezifische technische Dokumentation (TD) gut strukturiert, vollständig und fehlerfrei ist.

Wir haben erste Informationen über die neuen Gebühren für Audits und TD-Prüfungen der BS für die IVDR und sie sind sehr hoch, was zu erwarten war, wenn man bedenkt, dass von der Zahl der BS, die heute für die IVD-Richtlinie verfügbar sind, nur noch ein Drittel (oder wenig mehr) bleiben werden (deutlich weniger Wettbewerber) und es eine explosionsartige Zunahme der Arbeit geben wird (nach der IVD-Verordnung erfordern 85 Prozent der IVD die Mitwirkung und Genehmigung einer BS, während es unter der Richtlinie nur 15 Prozent waren). Eine große BS (bereits für die IVDR ernannt) schätzt, dass die Arbeitsbelastung im Vergleich zur IVD-Richtlinie um 600 Prozent zunehmen wird.

2. Hohe Anforderungen an klinische Evidenz

Die Hersteller werden höhere Anstrengungen in Kauf nehmen müssen, um zu belegen, dass eine Genehmigung ihres Produkts durch die BS gerechtfertigt ist. In der Vergangenheit (unter den Bestimmungen der Richtlinie) waren die BS nur bei wenigen IVD involviert (den in Anhang II A, B genannten und bei Tests zur Eigenanwendung), und selbst dabei konzentrierten sich die BS im Wesentlichen auf die analytische Leistung. Jetzt, unter der IVD-Verordnung, erhöht die große Bedeutung der klinischen Evidenz den erforderlichen Arbeitsaufwand und zwingt die Hersteller, zusätzlich zur analytischen Leistung auch die wissenschaftliche Validität (den Zusammenhang zwischen dem Analyten und der Erkrankung) und die klinische Leistung zu belegen. Dieser Fokus ist für viele Hersteller neu und wird mit viel Arbeit und erheblichen Kosten verbunden sein.

3. 360°-Leistungsbewertung

Wer glaubt, dass die Leistungsbewertung das ist, was man macht, bevor man das Produkt auf den Markt bringt, hat die Intention der IVD-Verordnung nicht verstanden.

Die Leistungsbewertung ist ein Prozess „von der Wiege bis zur Bahre“, der das Produkt weit über die Markteinführung hinaus und bis zu dessen Einstellung begleiten muss. Ein Leistungsbewertungsplan ist erst vollständig, wenn er einen durchdachten und überaus ausführlichen Plan für die Überwachung nach dem Inverkehrbringen beinhaltet. Und ein solcher Plan muss auch Studien zur Nachbeobachtung der Leistung nach dem Inverkehrbringen (Post-Market Performance Follow-up, PMPF) umfassen, mit denen die Leistung des betreffenden Produkts im Vergleich zu ähnlichen Produkten kontinuierlich neu bewertet werden muss. Die formelle Dokumentation der Bewertung des Stands der Technik oder der Wettbewerbslandschaft, ein weiteres neues Konzept, wird mit der IVDR verpflichtend.

Die drei oben genannten Punkte bedeuten für IVD-Hersteller eine immense Veränderung. Es handelt sich um einen folgenreichen Paradigmenwechsel:

a) Einige Produkte werden auf der Strecke bleiben, weil sie aufgrund der mit der Erfüllung der zusätzlichen Anforderungen verbundenen Kosten oder auch wegen des nahenden Endes ihres erwarteten Lebenszyklus nicht „IVDR-isiert“ werden.

b) Einige Unternehmen werden wahrscheinlich auf der Strecke bleiben, weil sie nicht in der Lage sind, die viel höheren Anforderungen der IVDR zu erfüllen.

Beide Faktoren werden wahrscheinlich den EU-IVD-Markt tiefgreifend verändern, und die Auswirkungen könnten weit über die EU hinaus spürbar sein.

4. Die LDT-Atombombe

Es gibt jedoch noch eine vierte Veränderung, die vor allem klinische Labore betrifft, und das nicht nur in der EU. Sie hat auch Auswirkungen auf IVD-Hersteller. Und diese Veränderung, wenn sie korrekt umgesetzt wird, stellt schon alleingenommen eine potenzielle Atombombe dar, die die Welt der IVD-Tests in ihren Grundfesten erschüttern wird.

Die LDT-Atombombe

Sehr wenigen Leuten scheint klar zu sein, dass die Verfasser der IVDR eine Atombombe über den LDTs abgeworfen haben.

Sie haben die klassische Boxtechnik der Links-rechts-Kombination angewendet, indem sie zuerst Folgendes in Art. 5 (1) schreiben: „Ein Produkt darf nur in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn es bei sachgemäßer Lieferung, korrekter Installation und Instandhaltung und seiner Zweckbestimmung entsprechender Verwendung, dieser Verordnung entspricht.“

Art. 5 (1) fällt nicht weiter auf, weil er einfach besagt, dass Produkte, die (in der EU) auf den Markt gebracht werden sollen, der Verordnung entsprechen müssen. Doch der zweite Schlag folgt mit Art. 5 (4), der – ohne LDTs direkt zu erwähnen – im Grunde aussagt, dass alle LDTs als in Verkehr gebracht gelten: „Produkte, die in Gesundheitseinrichtungen hergestellt und verwendet werden (…) gelten als in Betrieb genommen.“

Zusammengenommen ist beides (Art. 5 (1) + 5 (4)) mit folgender Aussage gleichzusetzen: „Alle LDTs müssen der IVD-Verordnung entsprechen.“

Die Intention des Artikels 5 (5)

In Art. 5 (5) wird dies näher ausgeführt, indem einige wenige Ausnahmen für LDTs genannt werden, die nicht in den Geltungsbereich der IVD-Verordnung fallen. Intention des Art. 5 (5) ist es, dass es echten europäischen Gesundheitseinrichtungen (siehe Definition weiter unten) gestattet sein soll, eigene LDTs herzustellen, wenn es keine handelsüblichen Produkte gibt. Damit wäre die volle Freiheit der Labore geschützt, LDTs zu entwickeln für seltene Erkrankungen, bei denen kein industrieller IVD-Hersteller die Anstrengungen auf sich genommen hat, einen entsprechenden Test zu produzieren, oder für neu entstehende Krankheiten (man denke nur an die Situation bei Covid 19), für die die Industrie noch keine im Handel erhältlichen Tests entwickelt hat.

Allerdings erlegt Art. 5 (5) auch strenge Beschränkungen auf, die im Folgenden zusammengefasst sind.

Um einen LDT zu entwickeln, herzustellen und einzusetzen, muss ein Labor sämtliche der folgenden Anforderungen erfüllen:

  1. Eine europäische Gesundheitseinrichtung sein 
    1. Art. 2 (29) der IVDR bietet folgende Definition: „,Gesundheitseinrichtung‘ bezeichnet eine Organisation, deren Hauptzweck in der Versorgung oder Behandlung von Patienten oder der Förderung der öffentlichen Gesundheit besteht.“ Auch wenn eine Definition angegeben ist, glauben wir, dass sie unterschiedlich interpretierbar ist und weiterer Klärung bedarf. So ist etwa unklar, ob ein in der EU ansässiges privates Labor, das von einem nationalen Gesundheitsdienst mit der Durchführung von IVD-Tests beauftragt wird, als Gesundheitseinrichtung zu betrachten ist oder nicht. Selbstverständlich erfüllt ein Labor außerhalb der EU die Definition nicht und kann daher keine LDTs an eingesandten Proben von EU-Bürgern durchführen.
  2. Die allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I der IVDR erfüllen 
    1. a. Dies ist kein leichtes Unterfangen. Die in Anhang I der IVDR aufgeführten allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen bedeuten hohen Aufwand und umfassende Prüfung und Dokumentation.
  3. Über ein geeignetes Qualitätsmanagementsystem (QMS) verfügen 
    1. Das als europäische Gesundheitseinrichtung geltende Labor muss (um seine eigenen LDTs durchführen zu können) über ein QMS verfügen. Die IVDR geht sogar so weit, vorzugeben, dass das System der ISO 15189, „Medizinische Laboratorien – Anforderungen an die Qualität und Kompetenz“, entsprechen muss, die für ein klinisches Labor das ist, was die ISO 13485 für einen IVD-Hersteller ist. Die 15189 ist sogar noch schwerer zu erfüllen, denn zusätzlich zum Erfordernis eines QMS, das alle Phasen der Diagnostik abdeckt (Präanalytik, Analytik und Postanalytik), verlangt sie, dass sich das Labor für jede einzelne Messung/Analyse, die es durchführt, akkreditiert.
    2. Die IVDR erkennt auch an, dass es einige Länder gibt (Frankreich ist nur ein Beispiel), in denen nationale Akkreditierungsvorschriften für klinische Labore gelten, die der 15189 gleichwertig oder sogar noch strenger sind.
  4. Die EU-Gesundheitseinrichtung verpflichtet sich, den eigenen LDT nicht an andere rechtlich eigenständige Einrichtungen (andere Labore, die zu anderen Krankenhäusern gehören) weiterzugeben.
  5. Die EU-Gesundheitseinrichtung muss begründen, dass die spezifischen (diagnostischen) Erfordernisse der Patientenzielgruppe nicht durch einen gleichartigen auf dem Markt befindlichen Test befriedigt werden können.
    1. Die aktuelle Lesart hierzu lautet, dass das Labor, wenn es einen Assay mit IVD CE-Kennzeichnung gibt, der die Testerfordernisse des Labors erfüllt, keinen eigenen LDT durchführen darf und den Assay mit IVD CE-Kennzeichnung kaufen muss.

Wer wird für die Durchsetzung der obigen Bedingungen zuständig sein? Für die Überwachung der Tätigkeit der klinischen Labore? Die Gesundheitsbehörden des Staates, in dem sich das Labor befindet. Die Gesundheitsbehörden einiger europäischer Staaten haben bereits zu verstehen gegeben, dass ihnen die Durchsetzungsaufgaben, die durch Art. 5 der IVDR ausgelöst werden, genau bekannt sind und sie sich aktiv darauf vorbereiten. Andere haben sich nicht geäußert, also kann man nicht wissen, ob sie sich darauf vorbereiten oder nicht.

Schlussfolgerungen

Der oben beschriebene „nukleare Fallout“ des Artikels 5 wird weitreichend sein. Labore, die heute routinemäßig patientenbezogene diagnostische Informationen auf der Basis von LDT-Verfahren bereitstellen (wie durchflusszytometrische Labore oder Labore die mit HPLC und Massenspektrometrie arbeiten – um nur zwei Beispiele zu nennen) werden die verschiedenen Auswirkungen des Artikels 5 deutlich zu spüren bekommen.

Einige wenige Labore dieser in der EU ansässigen Gesundheitseinrichtungen werden bestimmte LDTs durchführen können, doch praktisch gesehen dürfte dies nur die seltenen diagnostischen Tests betreffen, die in keinem Katalog eines IVD-Herstellers stehen. Selbst dann müssen sie äußerst strenge Vorgaben erfüllen.

Für die übrigen Labore, die den Großteil der klinischen Labore ausmachen, wird es nicht mehr möglich sein, LDTs in Europa durchzuführen, bzw. können außerhalb von Europa keine LDTs an eingesandten Proben von in Europa lebenden europäischen Bürgern durchführen. Die oben genannten Anforderungen der IVDR zu erfüllen, wird für solche Labore, offen gesagt, zu schwierig sein. Die einzige Alternative besteht darin, dass die IVD-Industrie sich der Herausforderung stellt und sämtliche Technologien, die derzeit keine IVD CE-Kennzeichnung tragen, in eine vollumfänglich der IVD-Verordnung entsprechende Version zu überführen.

Quelle: https://www.mlo-online.com/molecular/mdx/article/21158961/potential-impacts-of-eu-ivdregulation-on-the-clinical-flow-cytometry-lab

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